Ein berauschendes musikalisches Abenteuer

Kammersinfonie Stuttgart und Christoph Soldan begeistern in der Marienschule

von Dagmar Meschede

LIPPERBRUCH Es passiert wie beiläufig. Eben noch hört man ein wildes Tohuwabohu der sich auf das Konzert einstimmenden Streicher, dann klingt’s plötzlich tänzerisch-zeremoniell, so als würde man mit der Zeitmaschine per Knopfdruck von der Gegenwart in die Renaissance katapultiert. Aber so einfach ist es bei diesem vom Städtischen Musikverein veranstalteten Konzert im Forum der Marienschule nicht. Ausgerechnet die am ältesten wirkende Komposition ist das modernste Stück.

Peter Warlock hat seine „Capriol Suite“ in den 1920er geschrieben. Anregung und Material entnahm er einem im 16. Jahrhundert veröffentlichten Buch. Ja, und die sechs Miniaturen mit ihrem energischen satten Klang, den tänzerischen Anleihen, ihrer spielerischen Leichtigkeit, aber auch sakralen Zwischenstücken klingen sehr renaissancemäßig, wenngleich Warlock ab und an ein paar Dissonanzen hineinschmuggelt.

Die Kammersinfonie Stuttgart unter der Leitung des Konzertmeisters Daniel Rehfeldt kostet solche Finessen bei der Aufführung lustvoll aus und reicht dem Publikum Warlocks „Capriol Suite“-Miniaturen wie kleine Vorspeisenhäppchen, die Lust auf mehr machen.

Überhaupt ist dieses vom Städtischen Musikverein veranstaltete Konzert ein berauschendes sinnliches Abenteuer. Dabei machen die Musiker quasi die Rolle rückwärts vom 20. Jahrhundert in den Barock hinein. Von Peter Warlock geht’s nämlich direkt weiter zu Wolfgang Amadeus Mozart und schließlich zu Antonio Vivaldi.

Die Mixtur ist etwas für Gourmets mit einer fluffig leichten Vorspeise — eben jener besagten Suite von Peter Warlock — und zwei leicht bekömmlichen Hauptgängen, wobei der erste Hauptspeisengang mit Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert Es-Dur etwas Besonderes ist. Denn es spielt der Pianist Christoph Soldan, der einst mit Leonard Bernstein tourte.

Dank Soldans Interpretation erlebt man Mozart herrlich unangestrengt. Er kitzelt die Feinheiten aus der Komposition heraus und verleiht ihr damit Leichtigkeit. Karfunkelnd wie geschliffene Diamanten breiten sich die Töne im Raum aus. Man hat das Gefühl, diesem Mozartschen Stück auf den Grund blicken zu können. So klar und präzise ist Soldans Spiel. Ganz natürlich und organisch fügt sich bei ihm alles wie bei einem Mosaik zusammen. Mal sind es temperamentvolle Tonfolgen, mal entspannte an eine Träumerei erinnernde Klänge.

Etwas für Genießer ist schließlich Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, das letzte Stück des Konzerts. Dabei ist es wie bei der guten alten Weihnachtsgans. Es kommt auf die Zutaten an. Und die sind in der Interpretation des Violinisten und Konzertmeisters Daniel Rehfeldt schmackhaft und wohl dosiert gewählt.

Vivaldis „Jahreszeiten“ verfügen über eine schillernde Farbigkeit und erzeugen vielfältige Stimmungen. So klingt der „Frühling“ in großen Teilen beispielsweise recht wild. Man meint die liebestollen Vögel laut zwitschern zu hören. Das Spiel hat Tempo. Mittendrin wandelt sich die Stimmung.

Der an den Frühling anknüpfende „Sommer“ wird düsterer. Man meint aus Rehfeldts Interpretation die erdrückend bleiernde Sommerhitze zu spüren. Das Ganze entlädt sich irgendwann in einem schnellen, geradezu feurig leidenschaftlichen Spiel der Musiker, als bräche plötzlich ein kräftiges Sommergewitter herein.

Und der Herbst? Nun, der fängt spielerisch-heiter an und wandelt sich zu langsam gespielten, gedehnten Tönen. Das Schroffe und Harte des Winters macht sich dagegen vor allem im temperamentvollen Auftakt des vierten Teils der „Vier Jahreszeiten“ bemerkbar. Das Spiel gewinnt so seine eigene Dynamik.

Keine Frage: Vivaldi rockt, und er ist und bleibt ein großes Abenteuer. Aber das kann man auch von diesem Konzert insgesamt sagen.