„Eine Sternstunde der Musik“

„Eine Sternstunde des Lippstädter Musik“, schwärmt Gastgeber Burkhard A. Schmitt. Die ukrainische Pianistin Kateryna Titova werde als eine der Großen in Europa gehandelt, so der Städtische Musikdirektor. Am Sonntag war die ukrainische Pianistin zum wiederholten Mal Gast des Musikvereins. In der Jakobikirche widmete sie sich Werken der Romantik und des Barocks.

 

22.11.2022; Der Patriot

Von Marion Heier

Lippstadt – Es ist der Moment der Konzentration, aus dem heraus sich das Werk schöpft. Kateryna Titova lässt ihr Publikum daran teilhaben. So unprätentiös und natürlich sie daherkommt, so ungeschminkt ehrlich ist auch ihr Spiel. Der mit Preisen bedachten Pianistin, die nach Moskau ihr Studium in Deutschland fortsetzte und weltweit konzertiert, geht es um den Inhalt. Um die möglichst wahrhaftige Wiedergabe der vom Komponisten gesetzten Absicht.

Wie intensiv setzt sie sich da mit den Vorgaben der Komposition auseinander, wie tief begibt sie sich in die Dynamik, den melodiösen Verlauf und die Harmonik hinein. Es ist ein Abtauchen in die Originalität des Werkes, eine Auseinandersetzung mit der Urform des Werkes bei gleichzeitiger Zurückhaltung der Person.

Ganz im Gegensatz dazu steht ihr kraftvolles, intensives Spiel. Noch sind es zu Beginn unterschiedliche Sonatensätze von Domenico Scarlatti, der sich als Vertreter des Barocks im Übergang zur Klassik von der Betulichkeit der tonalen Musiksprache wegbewegt. Kateryna Titova arbeitet diese gegensätzlichen Stimmungen behutsam heraus, wobei sich ihre Absicht bereits manifestiert: Es geht um absolute Werktreue, das Stück in seiner reinen Form.

Die Welt um sich herum vergessend, gleitet sie im Andante liebevoll über die Klaviatur, akzentuiert sie präzise im Allegro molto. Es ist, als atme sie das Werk, was bei Chopins Ballade Nr. 1 in g-Moll deutlicher spürbar wird. Mit der Ballade und ihren lyrischen Elementen setzt Chopin eine eigene Marke, die Wagners kühne Harmonik vorwegnimmt.

Die Klangmalerei der Romantik, in der klassische Formen aufgelöst werden und neue, dichte Harmonien eine deutlich emotionalere Wirkung entwickeln, werden mit der Titova spürbar. Sie durchlebt die Stimmungen und entwickelt eine Dramaturgie, die sich in leidenschaftlichen Arpeggien voller Intensität ausdrückt. Da fährt sie von 100 auf Null zurück, vom Forte zum zarten Pianissimo.

Mit Franz Liszts „Ungarischer Rhapsodie Nr. 10 in E-Dur“ verlässt sie ein wenig die Schwermütigkeit, verliebt sie sich in das verspielte Klangwerk, das fröhlich und tänzerisch daherkommt. Es sind die glissandoartigen Passagen und die kapriziöse Anmut, die Titova mit großer Leidenschaft ausführt und die sich in Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ weiterentwickelt.

In dem bekannten Werk lässt der Komponist den Zuhörer durch eine imaginäre Galerie schlendern, wobei er vor zehn Werken innehält. Der Gnom, das alte Schloss, die spielenden Kinder in den Tuilerien: Kateryna Titova verleiht den Motiven eine außergewöhnliche Lebendigkeit, die sich in ihrem Körpereinsatz widerspiegelt. Hier setzt sich das eher Dunkle, Schwermütige durch. Da wütet sie auf dem Klavier in den tiefen Oktaven, lässt sie den Kopf sinken, ist sie ganz bei sich. Zu was für einer großen Last wird da der Ochsenkarren, doch wie gesellig gibt sich auch der Marktplatz von Limoges.

Die klangmalerische Kraft wird zum Erlebten, was zum Finale mit dem „Großen Tor von Kiew“ eine erschreckend realistische Dramaturgie erfährt, die für die Ukrainerin angesichts des Krieges eine umso größere Bedeutung hat. Das sitzt tief. Weltklasse.

Kateryna Titova spielte Werke von Scarlatti, Chopin, Liszt und Mussorgski. Foto: Heier