Publikum feiert Nordwestdeutsche Philharmonie im Lippstädter Stadttheater
Von Alfred Kornemann
LIPPSTADT Pompös-zeremoniell begann das Konzert mit Johann Sebastian Bachs Orchestersuite Nr. 3, mit Trompeten und Paukengruppe gegen die Holzbläser und Streicherklanggruppe. Und festlich-auftrumpfend endete das Programm der Nordwestdeutschen Philharmonie beim Konzert des Lippstädter Musikvereins mit Felix Mendelssohn Bartholdys sogenannter „Reformationssinfonie“ Nr. 5.
Das war eine klug gebaute Werkauswahl, bedenkt man die kompositorischen Innenbezüge. Aber was ist ein kluges Programm ohne die angemessene künstlerische Ausführung? Die Nordwestdeutsche Philharmonie gehört sicherlich in weitem Umkreis zu den führenden Orchestern, und es unterstrich seinen guten Ruf durch ein meisterliches Konzert im Lippstädter Stadttheater, bei dem die klangliche Disziplin und Nuancierung, die rhythmische Präzision und dynamische Flexibilität zu einem orchestralen Glanzpunkt der Saison führte.
Fesselndes Dirigat von Simon Gaudenz
In kammermusikalischer Besetzung begann es mit der 3. Orchestersuite von Bach, heute schon üblich, nachdem sich in einem halben Jahrhundert die historische Aufführungspraxis durchgesetzt hat. Welcher Gewinn daraus zu ziehen ist, bewies bravourös der musikalische Leiter des Abends, Simon Gaudenz. Sein Dirigat ist so fesselnd, dass sich dem die Zuhörer ebenso wenig entziehen konnten wie die hochkonzentrierten Instrumentalisten.
Dynamische Ausdeutung bis in die feinsten Wendungen (etwa im Binnensatz der Gavotte mit ihren dynamischen Gegensätzen), völlige Ruhe und Besinnlichkeit des bekannten Air (vielleicht ein wenig zu genüsslich), heiter die beiden Schlusssätze — Simon Gaudenz forderte von sich und dem auf Klangdurchsichtigkeit angelegten Orchester höchste Intensität bei der Ausdeutung der jeweiligen Stimmungswerte.
In der anspruchsvollen Solo-Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ von Bach konnte die Sopranistin Christina Rümann nicht in gleicher Weise überzeugen wie die bravouröse Anne Heinemann (Trompete). Sie sang technisch gekonnt, in der Mittellage etwas kontrastarm, insgesamt aber leicht distanziert.
Wie anders war es dann aber in der dramatischen Konzertarie „Infelice“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Da gelang ihr stimmlich die große Personen- und Stimmungszeichnung, prachtvolle Nuancierungsbreite. Hier im Opernfach, da ist sie zu Hause.
Am Programmende dann Felix Mendelssohn Bartholdys Kummerkind. Zwar in der Berliner Singakademie uraufgeführt, aber von ihm nie zur Drucklegung freigegeben. Das Werk des 23-Jährigen wurde erst posthum veröffentlicht.
Hätte er eine Aufführungsintensität wie die unter Simon Gaudenz miterlebt, hätte er wahrscheinlich nicht die Sorge geäußert, er dürfe eine solche Jugendarbeit nicht aus dem Gefängnis seines Notenschranks entwischen lassen. Die Reformationssinfonie wurde gottlob wieder eingefangen, und das nicht nur für den Martin-Luther-Gedächtnisrausch des vergehenden Jahres.
Klangliche Wucht ohne Klangqualm
Gaudenz gestattete seiner Interpretation dieser Sinfonie klangliche Wucht, aber keinen Klangqualm, machte sie durchsichtig, als wäre historische Aufführungspraxis mitgedacht, differenzierte, als wäre alles an Gesang orientiert. Das Publikum feierte ihn gebührend.
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