Wundersam überwältigend

Dirigent Garry Walker begeistert mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie

Von Alfred Kornemann

LIPPSTADT Auch wenn der Blick auf Amerika im Moment noch unvermeidbar getrumpt ist, sollte nicht übersehen werden, dass eine Kulturvermeidungsstrategie — ob gewollt oder aus geistiger Verblendung — zu allen Zeiten, wo auch immer, letztlich scheitert. Gute Nachricht aus Amerika bot das Sinfoniekonzert mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie im Lippstädter Stadttheater, dem man ob seiner guten Akustik schon heute nachzutrauern beginnt.

Aaron Copland wird heute noch manchmal etwas naserümpfend eine vermeintlich reine Verarbeitung vorhandener Musikstile, besonders von Volksweisen vorgehalten. Das trifft nun so bis auf wenige kompositorische Einsprengsel überhaupt nicht zu. Davon konnte sich das Publikum am Programmbeginn mit Aaron Coplands Suite aus „Appalachian Spring“, seinem wohl populärsten Tanzstück, überzeugen lassen. Diese acht bruchlos gereihten kurzen Sätze sind von großem melodischen Reiz und Farbenreichtum, ebenso aber von packender rhythmischer Prägnanz, die dem Orchester mit spürbarer Spielfreude abverlangt wurde.

Wie hätte es sich auch dem Temperament, der Präzision, dem dynamischen Feingespür des Dirigenten Garry Walker entziehen können, der mit großer Emphase immer genau aus dem Zentrum der Kompositionen heraus musizierte. So gewann alles klangliche Selbstverständlichkeit, jede dynamische Entwicklung klug austarierte kompositorische Notwendigkeit. Dieser Dirigent machte alle Werke des Abends zu musikalischen Erlebnissen.

So auch Edgar Meyers Konzert für Violine und Orchester, das sich bruchlos in das Abendprogramm einfügte weil der zeitgenössische Komponist hier in ganz eigener Sprache Elemente zusammengefügt hat, die auch die beiden rahmenden Werke mitbestimmt haben, Elemente des Jazz, des Bluegrass und nicht zuletzt des Folk.

Herausgekommen ist dabei ein Stück von klanglichem und rhythmischem Raffinement, das dem Orchester mit großer Konzentration eindrucksvoll gelang. Vom Solisten verlangt es technische Bravour, klangliche Vitalität und emotionale Einfühlung, ohne doch ein rechtes Virtuosenstück zu sein. Und gerade diese Haltung dem Werk gegenüber machte die Interpretation des renommierten russischen Geigers Ilya Gringolts so eindrucksvoll, so selbstverständlich das Publikum begeisternd, so einnehmend für ein Werk der sehr gemäßigten Moderne.

Wenn man in Amerika mit Antonin Dvoráks 9 Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ geglaubt hatte, eine „nationale Musik“ bekommen zu haben, dann war das wohl ein großer Irrtum. Dazu war der kompositorische Umgang bei aller Beschäftigung mit der Musik der Indianer und der Schwarzen viel zu selbstbestimmt.

Das Ergebnis war die wohl populärste, musikalisch oft wundersam überwältigende 9. Sinfonie op. 95. Man muss nur das Largo der Interpretation von Garry Walker mit dem Staatsorcnester Rheinische Philharmonie erlebt haben, um die klangliche Sensibilität, die ausgefeilte Dynamik, die musikantisch feinsinnigen Übergänge in Erinnerung zu halten, wenn man dem mir bis zu diesem Konzert unbekannten Dirigenten ohne prophetische Anwandlung eine große Karriere anzusagen wagt.