Aus der Stille heraus

LIPPSTADT   Es ist noch gar nicht so lange her, da hätte ein Liebhaber der Königsklasse im Bereich der Kammermusik, dem Streichquartett, ohne Überheblichkeit behaupten können, die großen Streichquartett-Formationen der Welt schon erlebt zu haben. Das wird seit mindestens zwei Jahrzehnten niemand mehr von sich sagen können, denn ebenso erfreulich wie überraschend tauchen aus vielen Ländern hochqualifizierte Streichquartette auf, die nicht etwa nur durch artistische Perfektion überzeugen, das ist ja im Pianistenbereich oft zu beobachten. Nein, da erscheinen wunderbar musikantische Musiker, die sich mit hoher Sensibilität in ein Werk versenken, es intellektuell ergründen, ohne sich als Interpreten wichtiger zu nehmen, als die Komposition. Solche Künstler konnte das Lippstädter Publikum beim Kammerkonzert des Städtischen Musikvereins mit dem Brentano String Quartet in der Jakobikirche erleben. Nicht, dass die Werkauswahl ungewöhnlich gewesen wäre. Aber wie sie die Kompositionen von Joseph Haydn, Franz Schubert und Béla Bartók (auch programmatisch intelligent zusammengestellt) jeweils ausleuchten, das war von packender künstlerischer Qualität. Was waren die besonderen Merkmale ihres Spiels? Da fällt zunächst die klangliche Dezenz auf, mit der die vier Musikanten Mark Steinberg und Serena Canin (Violinen), Misha Amory (Viola), und Nina Marie Lee (Violoncello) an die Werke herangehen. Alles wird dynamisch und klanglich völlig homogen aus der Stille heraus entwickelt, was dann die Ausbrüche umso wirkungsvoller macht. Béla Bartóks Streichquartett Nr. 3, auch für den heutigen Hörer in seiner Kompositionsstruktur und seinen überraschenden Spieltechniken noch verstörend, wirkt bei den „Brentanos“ auch in den schroffen Momenten fast klassisch, nicht widerborstig. Das rhythmische Moment wird selbstverständlicher Motor des Spiels. Joseph Hadyns op. 50 Nr. 1 erklang am Programmbeginn mit liebevollem Spürsinn für die gar nicht naive, vielmehr von tiefer Heiterkeit bestimmte Kompositionsanlage. Und Franz Schuberts d-Moll-Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“, das eigentlich zu häufig auf den Programmzetteln erscheint, konnte man hier von dem Brentano String Quartet hören als erlebte man eine Neuentdeckung. Und das nicht nur wegen der völlig überzeugend gegeneinander wohl austarierten rasend raschen Tempi in den Schlusssätzen. Eher wegen eines in Spannung und Entspannung fast geheimnisvoll sich entwickelnden Eingangsallegro. Ganz gewiss aber wegen des atemberaubend differenziert erklingenden Variationssatzes Andante con moto, in dem jede Variation zu einer wirklichen Szene wurde. Ich gehöre nicht zu den Dauerjublern, zu denen, die heutzutage alles gleich „super“ oder gar „genial“ finden. Aber ein solcher Abend klanglicher Homogenität, Sensibilität und werkbestimmter Differenziertheit ist so bald nicht wiederholbar.