Der ewige Kampf zwischen Krieg und Frieden -- Werkeinführung

Friedhelm Arnoldt

Werkeinführung zu:
Karl Jenkins : „The Armed Man – A Mass For Peace“
Konzertchor Lippstadt
Vokalpraktischer Kurs und Mittelstufen Chor AG der Marienschule Lippstadt
Südwestdeutsche Philharmonie
Leitung: Burkhard A. Schmitt
Foyer des Ostendorfgymnasiums
02.04.2017, 16:30 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn der Städtische Musikverein Lippstadt heute in Kooperation mit der Marienschule das moderne Oratorium „The Armed man – A Mass For Peace“ von Karl Jenkins aufführt, dann macht er das im Bewusstsein der Tatsache, dass praktizierte Kultur dazu verpflichtet ist, sich zu demokratischen und humanistischen Zielen zu bekennen. Dazu gehört in erster Linie das Bekenntnis zum Frieden und die Ablehnung des Krieges als gängiges Mittel zur Durchsetzung von Politik. Dabei ist uns sicherlich bewusst, dass man mit dem Paradoxon leben muss, dass es als ultima ratio militärische Mittel der Friedenserlangung und -sicherung gibt. Das bestimmt so die Geschichte: der Faschismus wäre wohl kaum mit Friedensdemonstrationen und -appellen niedergerungen worden und ohne Einsatz von Waffen ist an die Ausschaltung des IS nicht zu denken. Trotzdem: Mit der Botschaft „Better Is Peace Than Always War“ knüpft die Veranstaltung an eine Tradition des Musikvereins an, welche der Opfer der Kriege gedenkt. In der Vergangenheit hatte der Konzertchor Lippstadt in Danzig (1989) und Coventry (1992) bereits das „War Requiem“ von Benjamin Britten gesungen, um an den Beginn des Zweiten Weltkrieges bzw. an die Zerstörung der Kathedrale von Coventry zu erinnern. Und 2014 war die Aufführung des „Stabat Mater“ von Antonín Dvorák im Stadttheater den Opfern des Ersten Weltkrieges gewidmet. Gerade vor dem Hintergrund des Syrienkrieges ist das heutige Konzert ein deutliches Bekenntnis zum Frieden.

Sehr geehrte Damen und Herren!
Neben dieser humanistischen Intention, die hier heute für uns handlungsleitend ist, seien zwei Aspekte, die die heutige Aufführung bestimmen, der Darstellung der Analyse des Werkes vorangestellt:

  • Zum einen wagt sich der Konzertchor musikalisch an eine komplexe
    cross-over-Komposition heran, die der klanglichen Anpassungsfähig-
    keit der an klassische Harmoniebilder gewohnten Chorsängerinnen und
    Chorsänger grosse Leistungen abverlangt, da u.a. Jenkins in seiner
    Musik seine Sozialisation als Jazzrocker nicht außen vor lässt.
  • Zum anderen wird der Konzertchor von den frischen Stimmen von ca.
    drei Dutzend Schülerinnen und Schülern der Lippstädter Marienschule
    unterstützt. Da gelungener Chorgesang u.a. aus gelungener
    Kommunikation der Chorsänger untereinander besteht, ist auch hier
    gegenseitige Offenheit, Wahrnehmung und Abstimmung gefragt.
    Lassen Sie sich im Konzert überraschen!

Meine Werkeinführung habe ich wieder in in einen schrittweise zu entwickelnden Darstellungszusammmenhang gestellt, der sich – sicherlich in der Reihenfolge variierend – im Prinzip bewährt hat:

  • In einem ersten Schritt mache ich einige Ausführungen zum Komponisten, seine musikalische Entwicklung und stilmäßige Verortung. Dazu gehört auch die Klärung seiner Intention, die zur Schaffung des Oratoriums geführt hat, bzw. die eigentliche Werkgeschichte.
  • Der zweite Teil bearbeitet die literarische Dramaturgie, die durch die benutzten Beiträge – der klassischen Messe und der Krieg und Frieden beschreibenden Gedichte und Texte – bestimmt wird und stellt die musikalischen Besonderheiten des Werkes mithilfe einiger Hörbeispiele dar.
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1, Karl Jenkins : Zwischen Jazzrock und Klassik
Karl Jenkins wurde am 17. Februar 1944 in Penclawdd, Wales, geboren. Er ist Keyboarder, Oboist, Saxophonist und Komponist. Seit 1975 ist er mit der walisischen Musikerin Carol Barratt verheiratet, die auch die Texte zu einigen
seiner Werke verfasste Karl Jenkins war seit seiner frühesten Kindheit mit Musik konfrontiert. Er erhielt Klavierunterricht von seinem Vater, der im Ort Lehrer, Organist und Chorleiter war. Er spielte im Nationalen Jugendorchester von Wales die
Oboe. Dementsprechend begann seine professionelle Musikerkarriere als Erster Oboist im National Orchestra of Wales. Während seiner Studienzeit an der Royal Academy of Music begann er, sich mit Jazz zu beschäftigen. 1970 wurde er Mitglied von Ian Carrs Band ‚Nucleus‘, einer Formation, die dem Jazzrock stark verbunden und intensiv von Miles Davis beeinflusst war. Neben dem Bandleader war Jenkins hier einer der wichtigsten musikalischen Impulsgeber. Seine Komposition „Torrid Zone“ nahm seinen späteren Stil früh vorweg. Typisch waren die als durchgehend gespielten Ostinati bzw. Bass-Riffs, über die Bläser und in einigen Fällen auch Keyboards langgezogene Kantilenen ausbreiteten, die dem Ganzen nicht selten einen sphärischen Charakter verliehen. Ebenfalls bezeichnend für Karl Jenkins waren balladenhafte Themen mit überraschend harmonischen Wendungen, in denen er auch auf der Oboe brillierte. Das war im damaligen Rockjazz-Bereich sehr ungewöhnlich.

1972 wechselte er zur Band ‚Soft Machine‘.. Auch hier stieg er neben Bandchef Mike Ratledge zum wichtigsten Komponisten auf und nachdem dieser im Jahr 1976 die Band verlassen hatte, ersetzte er ihn an den Keyboards. Jenkins und ‚Soft Machine‘ befassten sich wie andere zeitgenössischen Komponisten auch intensiv mit sog. ‚Tape Loops‘ (‚Bandschleifen‘), die in Stücken mit repetitiven Tonfolgen eine Trance- Atmosphäre erzeugten. Jenkins veränderte diese Methode der elektronischen Montage, indem er mehrere manuell gespielte E-Piano-Sentenzen übereinander schichtete, um meditative Klangbilder zu erzeugen. Ende der siebziger Jahre trugen so die meisten Alben von ‚Soft Machine‘ maßgeblich Karl Jenkins kompositorische Handschrift.

In den 1980er und 1990er Jahren fand man Karl Jenkins vorwiegend in der kommerziellen Musikproduktion: Er verfasste überwiegend Werbemusiken. Besonders bekannt wurde die berühmte Streichersuite „Palladio“ – inspiriert von dem Renaissance-Architekten Andrea Palladio, der in Venedig und an den Kanälen des Veneto seine von der Antike beeinflussten Villen baute. Jenkins schuf sie für die Diamantenwerbung. Mit dem ‚Adiemus‘-Projekt Mitte der neunziger Jahre stieg Karl Jenkins in die groß angelegte Integration verschiedener Musik- und Stilrichtungen ein. Mit breit und konzertant angelegten Chor-Arrangements teilweise geistlichen Inhalts verband er philharmonische Orchestersätze, Pop und ethnische Musik, sozusagen seine kompletten musikalischen Erfahrungen. U.a. band er für die philharmonischen Partiturbestandteile das London Philharmonic Orchester mit ein. Mit dem eigens gegründeten Adiemus- Ensemble war er sowohl in der Klassik wie auch im Pop sehr erfolgreich und erlangte mit seinen Alben mehrfach Gold- und Platinstatus.

Zur Zeit des Kosovo-Krieges schuf er sein erstes größeres Werk für Chor und Orchester: „The Armed Man – A Mass for Peace“ verbindet Teile der klassischen Messe mit Poems und Texten zum Thema ‚Krieg und Frieden‘ aus unterschiedlichen Kulturen, historischen Epochen und Musikstilen – wir hören gleich mehr davon. Das opus wurde im April 2000 in der Royal Albert
Hall in London uraufgeführt. Auch in seinem ‚Requiem‘ entwarf er großangelegte Synthesen: zahlreiche ältere Antiphonien und Gesänge bearbeitete er und stellte sie in einen Zusammenhang mit Gedichten aus Japan. Das Werk wurde am 2. Juni 2005 in der Southwark Cathedral uraufgeführt und wurde rasch populär. In der Folge war sein kompositorisches Schaffen durch großangelegte filmische sound-tracks, Backgroundmusik für ganze Alben (z.B. für Mike Oldfield’s ‚Music of the Sphere‘) aber auch klassisch konzipierte Oratorien wie ein ‚Stabat Mater‘ oder das opulente Werk ‚The Peacemakers‘ gekennzeichnet. Das chorale opus ‚Cantata Memorie. For the children‘ erfuhr seine amerikanische Erstaufführung Januar 2017 in der Carnegie Hall in New York. Diese nur skizzenhafte Darstellung seines Schaffens zeigt, dass er aus dem aktuellen konzertanten Leben Großbritanniens nicht wegzudenken ist. Jenkins gilt als der britische Komponist, dem die Verknüpfung unterschiedlichster musikalischer Stilrichtungen und Genres aus verschiedenen historischen Epochen und Kulturkreisen sowohl hochprofessionell als auch
ansprechend gelungen ist. Dabei ist seine Wirkung ausgesprochen populär. Dementsprechend erfuhr Jenkins auch die in Britannien üblichen Ehrungen: Seit dem Juni 2010 darf er sich Sir Karl Jenkins nennen, denn er wurde von der Queen zum Commander des Order of the British Empire ernannt, und am 13. Juni 2015 erfolgte die Erhebung zum Knight Bachelor.
In welchem Kontext des skizzierten Gesamtoevres steht nun das heute aufgeführte Werk?

Für Karl Jenkins scheint – und auch das 2012 geschaffene Oratorium ‚The Peacemakers‘ verweist darauf – die friedliche Begegnung von Völkern und Kulturen eine existentielle Notwendigkeit zu sein. Für jemanden, der aus dem Jazz kommt, einem musikalischen Genre, dass seine Lebendigkeit dadurch erhalten hat, weil es immer neue und verschiedenartigste Stilelemente
integriert hat, ist die friedliche Konfrontation mit dem kulturell Andersartigen musikalisches wie gesellschaftliches Grundprinzip. Er steht m.A.n. durchaus in einer positiven Tradition des British Empire, in dem es neben der imperialistischen Herrschaft auch – und das ist durchaus ein Widerspruch – eine Wertschätzung gegenüber den Kulturen der ihm angehörenden Völker gab. Kipling, dessen ‚Hymn before Action‘ Jenkins verarbeitet, ist ein klassisches Beispiel für diese Widersprüchlichkeit: Zum einen bezeichnet er die Kolonialvölker als ‚The white man’s burden‘, zum anderen schuf er mit dem ‚Dschungelbuch‘ einen Entwicklungsroman, der im globalen Maßstab Kinder und Erwachsene aller Kulturen beeindruckte und beeinflusste, nicht zuletzt durch seine Inanspruchname durch Sir Robert Baden-Powell für das Erziehungskonzept der internationalen Pfadfinderbewegung mit seinen
Merkmalen der Offenheit, Toleranz und Solidarität.

‘The Armed Man‘ ist eine Messe mit dem Untertitel „A Mass for Peace“ („Friedensmesse“). Vergleichbar mit Benjamin Britten’s ‚War Requiem‘ ist es ein Antikriegsstück. Fast paradox ist, dass das Werk im Auftrag des ‚Museum’s of Royal Armouries‘ in Leeds entstand. Dieses Haus sollte 1999/2000 nach London umziehen und wollte seine Zeit in Leeds mit der Milleniumsfeier beenden. Der Direktor des Museums – Guy Wilson – wählte die Texte aus, die zwischen das Gerüst der Bestandteile der klassischen Messe von Jenkins interpoliert wurden.

Gewidmet ist das Stück den Opfern des Kosovokrieges. Wir erinnern uns: Die rot-grüne Bundesregierung hatte im Gefolge der NATO den ersten Kriegseinsatz deutscher Truppen nach 1945 vollzogen, erst mit der Teilnahme an Luftangriffen , u.a. auf Belgrad, dann mit Bodentruppen bei der Besetzung des Kosovo durch NATO und Russland. Der CSU-Politiker Peter Gauweiler zog 2004 Parallelen zum Irak-Krieg: „Sowohl die Intervention der USA im Irak als auch die Bombardierung Jugoslawiens und seiner Hauptstadt Belgrad durch die NATO geschah ohne Mandat der Vereinten Nationen. Dies ist von der deutschen Völkerrechtslehre zutreffend und mit Nachdruck als völkerrechtswidrig bewertet worden“. Beide unmittelbaren Kriegsgegner – Serben und Kosovoalbaner – gingen grausam und völkerrechtswidrig gegen die Gegenseite und ihre Zivilbevölkerung vor. Am schlimmsten traf es nach der offiziellen Beendigung des militärischen Konfliktes die Minderheit der 200.000 Kosovo-Roma, die
von der albanischen UCK verfolgt und aus dem Land getrieben wurde. Jenkins‘ Ziel bei der Komposition des Oratoriums war es nun, die Authentizität der aktuellen brutalen Ereignisse dieses Krieges in die literarische und musikalische Dramatik des Stückes zu transferieren.

2. Texte und Lieder von Krieg und Frieden

Satz 1: The Armed Man

Jenkins beginnt sein Oratorium mit der Aufstellung bzw. dem Aufmarsch von Truppen. Dieser Vorgang wird von dem mittelalterlichen Chanson ‚L’homme, l’homme, l’homme arme ́‘ dargestellt. Ungefähr in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als cantus firmus entstanden, ruft es zur allgemeinen Bewaffnung auf. Wahrscheinlich geht es auf den hundertjährigen Krieg zurück. Es spiegelt jedoch auch die Veränderungen der Kriegstechnik wieder, die sich im Wesentlichen im 15.
Jahrhundert begann durchzusetzen. Gemeint ist damit der Wandel von den Ritterheeren zu den Massenheeren, die dann aus zusammengerufenen bewaffneten Einwohnerverbänden oder aus Landsknechtshaufen bestanden.

In der franko-flämischen Vokalmusik war ‚L’homme armé ‚ recht bekannt. Das Lied geriet zwar zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus der Mode, erschien allerdings noch bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts als Thema. Trommeln, Pfeiffen und Fanfaren untermalen das in französischer Sprache und im Marschrhythmus vorgetragene Chanson. Man hört die Kolonne bedrohlich auf sich zukommen. Aus der Entfernung tönen die zuerst einsetzenden Frauenstimmen, mit den einsetzenden Männerstimmen
crescendiert der Chor, die Formation rückt näher. Die noch mittelalterliche, der Renaissance verbundene Melodie beginnt unisono in der alten Tonart ‚dorisch‘, entwickelt sich dann mehrstimmig, bis sie in ein ‚fugato‘ mündet, um dann am Schluss im ‚fortissimo‘ die Warnung hinauszurufen, dass der bewaffnete Mann zu fürchten sei.( HÖRBEISPIEL I: Jenkins, K.: The armed
man: A mass for peace, London/Mainz 2015, Satz 1, Takte 16 – 64 )

Satz 2 : Call to Prayers

Im zweiten Satz folgt der interkulturelle Gegensatz: der Muezzin ruft zum Gebet ‚Allahu ak-bar‘: ( HÖRBEISPIEL II: Jenkins, K.: The armed man: A mass for peace, a.a.O.,Satz 2, o. Taktangabe ) Damit werden Millionen muslimischer Gläubiger täglich fünfmal zum Gebet gerufen und damit zum Frieden im Alltag aufgefordert. In unserer abendländischen Wahrnehmung hat sich jedoch ein anderer Aspekt in den letzten Jahren in den Vordergrund geschoben: Das ‚Allahu akbar‘ der Dschihadisten als Inanspruchnahme dieser Friedensbotschaft für ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch das hat leider Tradition: Die Eroberer Konstantinopels, die Soldaten des Sultans, die zweimal vor Wien standen, und die Reiterscharen des Mahdis sanktionierten ihre kriegerischen Aktionen alle mit dem ‚Allahu akbar‘. Damit unterschieden sie sich aber in keiner Weise von ihren christlichen Widersachern oder anderen abendländischen Kombattanten, die ihren Gott für ihre Kriegsgräuel reklamierten, sei es als Ordensritter beim Ausrotten der Pruzzen, als Konquistadoren in Mittel- und Südamerika oder als Soldaten der
großdeutschen Wehrmacht in den Weiten Russlands, auf deren Koppelschloss ‚Gott mit uns‘ stand.

Satz 3 : Kyrie

Das Kyrie, die Anrufung des dreieinigen Gottes mit der Bitte, sich zu erbarmen, leitet in allen christlichen Kirchen die Messliturgie ein. Die zentrale christliche Botschaft, dass sich Gott aller Sünder erbarmt, wird von allen Konfessionen anerkannt. Weitergedacht heißt das, dass dieses Erbarmen Gottes sowohl denen, die unter den Kriegen leiden, als auch denen, die die
Kriege führen und für ihre Verbrechen Schuld tragen, zuteil wird. Angesichts des Krieges, seiner Gräuel und Menschenfeindlichkeit bleibt den Menschen nur noch die Möglichkeit, den Herrn um sein Erbarmen anzurufen. ‚Allahu Akbar‘ und ‚Kyrie eleison‘ folgen im Oratorium unmittelbar aufeinander – damit stellt Jenkins die Frage, ob Muslime und Christen an ein und denselben Gott glauben. Sind sie nicht doch mit den Anhängern der dritten Buchreligion, den Juden, alle ‚Kinder Abrahams‘ In klassischer Satztechnik und der Miteinbeziehung von Popelementen erreicht Jenkins im ersten Messesatz eine wunderbare, hochgradig harmonische Melodik ( HÖRBEISPIEL III: Jenkins, K.: The armed man: A mass for peace, a.a.O., Satz 3, Takte 42 – 75 ). Im ‚Christe eleison‘ nimmt er die im ‚L’homme arme‘ vorherrschenden Klangbilder der Renaissance wieder auf, indem er sich auf den kompositorischen Reformer Palestrina bezieht.

Satz 4 : Save Me from Bloody Men

Mit dem Rekurs auf die Psalmen (56,2-3 und 59 2(2)-3) des Königs David wird die Bitte um Erbarmen des Kyrie konkretisiert. Der Schutz Gottes wird dort von David gegen die Häscher und Blutgierigen des Königs Saul erbeten, die seiner habhaft werden sollen und ihn töten sollen. In jedem Krieg werden diese Häscher und Blutgierigen tätig, egal, was für eine Legitimation sie für
ihr Handeln haben. Auf die polyphonen Renaissancegesänge folgen im 4. Satz gregorianische Klänge. Die Männerstimmen tragen ihre Bitten um den Schutz Gottes unisono vor. Dieser an das Klosterleben erinnernde einfache Chorsatz klingt in seiner Monotonie klar und eindringlich. ( HÖRBEISPIEL IV: Jenkins, K.: The armed man: A mass for peace, a.a.O., Satz 4, Takte 01 – 08 )

Satz 5 : Sanctus

Als zweites Stück aus der klassischen Messliturgie folgt das Sanctus, die Anrufung der Heiligkeit Gottes und des Lobgesanges auf den, der da kommt, nämlich Christus: damit wird die Eucharistiefeier eingeleitet. Angesichts des Krieges wird es von Jenkins bewusst vor den Beginn der Schlacht platziert:
Obwohl der Krieg das größte Verbrechen an der Menschheit und die größte Kränkung Gottes durch die Menschen ist, verliert die Heiligkeit Gottes während des Krieges nichts von ihrer Gültigkeit.

Wer allerdings mit dem Einsetzen des ‚Sanctus‘ mit einem getragenen, melodischen Hymnus gerechnet hat, sieht sich getäuscht: Wie am Anfang des ersten Satzes ist auch hier wieder das Staccato der Trommeln und Fanfarenstösse zu hören, die den Marsch der Kriegsknechte begleiten. Es ist, als ob die Marschkolonnen in die Messe und den Kirchenraum einmarschieren. Und wenn diese das ‚Hosanna‘ in den Himmel schreien, so klingt das, als ob sie Gott für sich und ihre Kriegsambitionen vereinnahmen
wollen (was ja dann auch im nächsten Satz mit der Anrufung des Herrn des Donners geschieht) ( HÖRBEISPIEL V: Jenkins, K.: The armed man: A mass for peace, a.a.O., Satz 5, Takte 01 – 49 ). Das langsam verebbende, von Trompetensignalen begleitete ‚Sanctus‘, lässt die Heere in die Schlacht ziehen, für so viele ihrer Teilnehmer ohne Wiederkehr.

Satz 6 : Hymn Before Action

Der Lobgesang vor der Schlacht besteht aus einem Text des schon erwähnten Rudyard Kipling. Hier wird die Gnade Gottes nicht erfleht, um von den Kriegsgräueln verschont zu werden, sondern im Gegenteil, um siegreich in der Schlacht zu bestehen und den Feind siegreich zu schlagen. Gott ist hier der Gott des Donners, sozusagen das Pendant des Gottes , „….der Eisen wachsen ließ…!“ (Ernst Moritz Arndt).

Die Hymne vor dem Kampf, in der der Segen Gottes für die Schlacht und ihren siegreichen Ausgang erbeten wird, ist eine getragene eindrückliche Musik, spannungsgeladen mit ihren harmonischen Wendungen. Der 13 strukturierte Chorsatz drückt die Siegesgewissheit der angetretenen Kombattanten aus.

Satz 7 : Charge!

Dieser Satz beschreibt die eigentliche Kriegshandlung. Hier ist von Gott nicht mehr die Rede. Trompeten und Trommeln sind die Medien, die den Angriff vorantreiben.( HÖHRBEISPIEL VI: Jenkins, K.: The armed man: A mass for peace, a.a.O., Satz 7, Takte 32 – 50 ). Das Dramatischste ist die wiederholte Legitimation für das Motiv des Kriegers: „Wie selig ist der, der für das Vaterland stirbt!“ Dieser Satz stammt ursprünglich von HORAZ („Dulce et decorum est pro patria mori!“), verarbeitet wurde er im Ersten Weltkrieg in einem Gedicht von Wilfred OWEN, war dort aber nicht kriegsverherrlichend, sondern sarkastisch gemeint. Die Fassung der von Jenkins benutzten Liedzeilen ist eine Zusammenfassung von Verssegmenten von Jonathan Swift und Jon Dryden: Trompeten, Posaunen, die Piccoloflöte, Pauken und durchlaufende Trommelwirbel bieten die Begleitmusik für die Schlacht, deren Getümmel vom vierstimmigen Chor im forte mit ihrem Lärm und ihrem aufgelösten Durcheinander dargestellt wird. Darüber setzt dann in Abständen der Diskant der Frauenstimmen mit seinem „How blest is he who for his country dies.“ ein und treibt damit die Dissonanzen der Schlacht auf die Spitze, bis diese schließlich nach sich wiederholenden ‚Angriff‘- Schreien kippen und mit einem gurgelnden Geschrei die Schlacht beendet wird. – Dann ist Stille. 30 Sekunden lang.
Ein ‚Last Post‘-Trompetensignal (Zapfenstreich) beendet den Satz.

Satz 8 und Satz 9 : Angry Flames ; Torches

In diesen beiden zentralen Sätzen werden die unmittelbaren Folgen, die Gräuel des Krieges anhand realer Ereignisse in den Ablauf des Oratoriums eingeführt. Jenkins geht hier nicht in der historischen Reihenfolge vor, er dreht sie um. Zuerst (Satz 8) wird mittels eines Poems von Toge Sankichi,
der 12 Jahre nach dem Abwurf der Hiroshimabombe an deren Folgen verstarb, die Unerbittlichkeit und Radikalität des Krieges dargestellt. Das, was
dieser Mensch erlebt hat und schildert, ist die Potenzierung aller kriegerischen Brutalität, welche mit ihren Folgen an die Ewigkeit und an die Apokalypse heranreicht. Der Satz beginnt mit dem zwölfmaligen Glockenschlag, der auch heute noch jede Gedenkfeier in Hiroshima einläutet. In einem lacrimosa – klagend weinend – erzählen die Frauenstimmen – quasi recitativo – von den durchlittenen Schrecken, die sich wie ein Leichentuch über der Stadt Hiroshima ausgebreitet haben, nur minimal vom Orchester unterstützt. Die Männerstimmen ergänzen sie nur mit wenigen Tönen und Worten, wie ein Echo, fast dahingehaucht. Erst dann (Satz 9) lenkt Jenkins den Augenmerk auf die ausführliche Beschreibung der Leiden der tierischen und menschlichen Kreaturen anhand des Mahabharata, eines vorchristlichen indischen Epos, welches die Metamorphose von Mensch und Tier in lebende Fackeln als Ergebnis des Krieges beschreibt. Diese Darstellung ist die existentielle Voraussetzung für den folgenden Ruf nach Frieden. Damit wird deutlich: Im Krieg kommt der Tod daher, nur der Frieden bringt Leben.

Und auch in der musikalischen Umsetzung des Grauens, welches uns aus diesem indischen Epos entgegenklingt, dominieren die Frauenstimmen mit ihrem unisono, in einem ‚bene pronunziato‘ vorgetragenen monotonen Sprechgesang. Der Einsatz der Männer besteht nur aus drei betonenden Satzabschnitten und aus dem am Schluss mit einem Fortissimo vom ganzen Chor unisono ausgerufenen dreimaligen „torches“ („Flammen“).

Satz 10 : Agnus Dei

Die Bitte um Frieden wird an das Lamm Gottes gerichtet. Dadurch, dass es zur Schlachtbank geführt wird – also Christus gekreuzigt wird – wird die Sünde der Welt hinweggenommen. So wird auch die Sünde des Krieges vergeben, denn Christus ruft am Kreuz: „Herr vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Das ‚Agnus dei‘ wird versöhnlich zelebriert: erst schüchtern setzen die einzelnen Chorstimmen nacheinander ein, bis sie den Satz in einer unisono vorgetragenen Bitte nach Frieden zwar im Piano gehalten, aber direkt und mit Innigkeit beenden. Hier verwendet Jenkins fast zärtliche Melodielinien und
harmonische Elemente der Popmusik, unterbrochen von aus der Ferne klingenden verhaltenen Trompetenfanfaren, die an die gewesene Schlacht erinnern. ( HÖHRBEISPIEL VII: Jenkins, K.: The armed man: A mass for peace, a.a.O., Satz 10, Takte 01 – 18 ).

Satz 11: Now the Guns have Stopped

Die Waffen schweigen, es breitet sich eine unheimliche Stille aus. Trauer setzt ein. In einem Gedicht des oben erwähnten Guy Wilson, des Direktors des Leedser Armeemuseums, bestaunt ein Kriegsteilnehmer sein eigenes Überleben und beweint seinen gefallenen besten Freund, er geht nach Hause, um in seiner Einsamkeit zu trauern. In der historisch-literarischen Analogie aus Homer’s Illias ist die Verarbeitung eines solchen Verlustes noch an den Impetus des Krieges geknüpft. Der um seinen gefallenden Freund Patroklus trauernde Achilleus stürzt sich vor Rachegefühlen bebend erneut in das Kampfgetümmel vor den Mauern Trojas, um am skäischen Tor vom Pfeil des Paris tödlich getroffen zu werden. Jenkins lässt diesen Part des trauernden Kriegsteilnehmers von einer der weiblichen Solostimmen singen, die die Trauer in einer schlichten Schönheit ausdrückt, verhalten begleitet von den Streichern.

Satz 12 : Benedictus

Mit dem Benedictus wird Christus angerufen und ein Lobgesang angestimmt, denn er ist der Sieger über Krieg und Tod. Diese Sequenz aus der
klassischen Messliturgie erinnert – genau wie das Sanctus – an seinen Einzug in Jerusalem und drückt die Hoffnung auf sein Wiederkommen aus. Der Einzug des Friedens, somit die entscheidende Zäsur in dem gesamten Opus, wird am Beginn des 12. Satzes mit einem Cellosolo eingeleitet, was kontrapunktisch zu den vorher massiv eingesetzten Blas- und
Schlagwerkinstrumenten den Charakter des Oratoriums als Messfeier unterstreicht. Schüchtern setzt sich der Chor in seinen Einzelstimmen durch, dann immer mächtiger werdend. ( HÖHRBEISPIEL VIII: Jenkins, K.: The armed man: A mass for peace, a.a.O., Satz 12, Takte 39 – 56 ). Mit dem ‚Hosanna‘ wird der Satz zum den Frieden huldigenden Hymnus, in dem das gesamte Orchester und sogar die Orgel zum Einsatz kommt.

Satz 13 : Better is Peace

Die Feier der wiederkehrenden Gegenwart Christi wird im Schlussteil mit einem die ganze Welt umfassenden Glockengeläut zelebriert, durch das alle jahrtausendealten Übel, die letztendlich auch zum Krieg immer wieder geführt haben, ‚hinaus geläutet‘ werden. Damit wird das Grauen gebrochen, dass der noch einmal chorisch auftauchende ‚bewaffnete Mann‘ auslöst, denn: „Better is peace than always war!“
Die literarischen Vorlagen hierfür finden sich bei Thomas Malory (um 1470) und Alfred Lord Tennyson (1850).
Und die letzte Sequenz stammt aus der Offenbarung des Johannes. Sie drückt die Gewissheit über den Sieg Gottes und des Lebens aus: „…und der Tod wird nicht mehr sein…“ Das Oratorium schließt mit der Aufforderung an die Menschen: „Praise the Lord!“ „Lobt den Herrn!“ Mit diesem a capella-Satz kommt der Chor noch einmal zu einem Einsatz, der auf Hoffnung ausgerichtet ist und, wie in vielen anderen Oratorien, in stiller Zuversicht
endet. ( HÖHRBEISPIEL IX: Jenkins, K.: The armed man: A mass for peace, a.a.O., Satz 12, Takte 143 – 160 ).

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Anhang : Textübersetzung aus dem Programm der Aufführung

© Friedhelm Arnoldt M.A.
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