Die Selbstverständlichkeit des Musizierens

Fesselndes Klavierkonzert von Klaus Sticken in der Jakobikirche

LIPPSTADT Ein hohes Lob für die Kammerkonzerte in Lippstadt von einer angereisten Hörerin. Und das berechtigt. Mehr als berechtigt nach dem Klavierabend mit dem Programm des ungewöhnlich faszinierenden Pianisten Klaus Sticken. Was fesselt an seinem Musizieren in einer Zeit, in der Künstler seiner Generation und jüngere so häufig ihr Ego über die Komponisten und deren Werke kleben? Es ist die Selbstverständlichkeit, mit der das Musizieren von Klaus Sticken so klingt, als könnte es vom Komponisten gar nicht anders gemeint sein. Um ihn nämlich geht es, wenn der Interpret hier mit überlegener, aber niemals zirzensisch vorgeführter Technik, hoher Einfühlsamkeit und bei aller Emotionalität mit intelligenter Distanz jeweils die Komposition als staunenswertes Kompositionswunder vorstellt. Klaus Sticken hat in Lippstadt nach seinem ersten fulminanten Auftritt im Kreis dreier weiterer Pianisten einen solchen Eindruck hinterlassen, dass sein Konzert an einem ungewöhnlichen Tag, zu ungewöhnlicher Tageszeit ein großes Publikum anzog. Dem in der Jakobikirche ein Programm geboten wurde, das auf einer großen China-Tournee allergrößte Anerkennung gefunden hatte. Am Programmbeginn Ludwig van Beethovens Klaviersonate op. 31,3, in den ersten beiden Sätzen ein phantasievolles Konzertstück, im Schlusssatz Presto geradezu ein Temperamentsausbruch, alles mit musikantischer Heiterkeit gespielt. Wie Klaus Sticken aber im dritten Satz den kurzen Moment melancholischer Überraschung in die übrigen Satzwirbel setzte, das bewies intellektuell souveräne Werküberschau. Dem Zuhörer stockt der Atem Dass man die fünf Klavierstücke des orchestralen Großmeisters Richard Strauss nur so selten hören kann, ist nach der Interpretation von Klaus Sticken nur verwunderlich. Denn die breite Klangpalette, durchaus der Sprache der Spätromantik verhaftet, bot ein Stimmungsbarometer, das trotz der frühen Periode im Schaffen von Richard Strauss durchaus Signale des Zukünftigen setzte, im Schlusssatz geradezu Abschied und Aufbruch andeutete. Im zweiten Programmteil dann die Meisterschaft des Interpreten in zwei bekannteren Werken. In Frederic Chopins g-Moll-Ballade wird eine verwickelte Geschichte erzählt, die sich in den vom Pianisten blendend aufgedröselten verwickelten kompositorischen Strukturmomenten niederschlägt. Das demonstrierte Klaus Sticken intellektuell glänzend und höchst klangbewusst. Danach die „Wanderer Fantasie“ von Franz Schubert, dieses Meisterwerk der Klaviermusik überhaupt. Der Zugriff auf dieses Werk war überwältigend, von einer Innenspannung, einer nicht zu bremsenden ortlosen Unrast, die selbst von dem alles bestimmenden Adagio-Zentrum nicht zu besänftigen war. Es passiert ja nicht oft, dass dem Zuhörer der Atem stockt, Klaus Sticken hat das erreicht und so wirkte die Zugabe von Franz Schuberts As-Dur-Impromptu wie eine wundersame Erlösung aus einem fesselnden Klavierabend.