Elektrisierendes Spiel

LIPPSTADT   Was wäre die Adventszeit ohne Barockmusik, was wäre sie ohne ein „Weihnachtskonzert“ von Arcangelo Corelli, auch wenn es nicht das „richtige“ ist? Aber schließlich adventet es ja in all seinen Concerti Grossi op. 6. Und wenn dann die Nr. 4 so stilvoll, klanglich hochkonzentriert mit einem bestens abgestimmten Concertino gespielt wird wie vom Franz-Liszt-Kammerorchester im Lippstädter Stadttheater, dann lässt sich alle Fernseh-Advents-Geschmacklosigkeit verlustfrei abschalten. Wie sich Temperament mit Präzision, Musizierfreude, Witz und hohes Klangbewusstsein mit lebensvoller perfekter Technik verbinden lassen, das bewiesen alle Werke des Italien-Programms, die vitaleren der reinen Streicher-Komposition von Benedetto Marcello ebenso wie die eher auf emotionale Klangwirkung und strenge Rhythmik bedachten „Antiche Danze e Arie“ für Streicher von Ottorino Respighi. Oder auch die charmante, klanglich nie ins Sentimentale abrutschende Streichersonate Nr. 1 von Gioachino Rossini. Die Musikanten des Franz-Liszt-Kammerorchesters aus Budapest hätten ganz ungeteilt den Beifall des Publikums verdient, wäre da nicht noch Gábor Boldaczki gewesen, dieser Trompeter, dessen Spiel ebenso elektrisierend wie atemberaubend war — letzteres für die Zuhörer offenbar sehr viel mehr als dem Künstler selbst. Natürlich war er der Star des Abends, aber eben ein mitmusizierender Star, ohne Herausstellungsattitude, mit feinem Musiziersinn für abgestuftes Zusammenspiel mit dem Orchester. Wie beides aufeinander eingespielt war, wurde musterhaft erkennbar in den feinen Nuancen von Temposchwankungen im langsamen Satz des für Trompete und Streicher bearbeiteten D-Dur-Konzertes op. 3 von Antonio Vivaldi. Das war ein lustvoll-liebevolles, spielerisches Ausloten von kompositorischen Momenten, wie es nur ein lebendiges Musizieren fernab von Tonträgern möglich macht. Nörgeln gegen Bearbeitungen erübrigt sich, wenn die zu so überzeugenden klanglichen Ergebnissen führen wie das Zusammenspiel zwischen Trompete und dem wunderbaren Konzertmeister der Budapester in Antonio Vivaldis Konzert B-Dur op. 12. Das leuchtet dann schon mehr ein als eine etwas matte Komposition wie das Trompetenkonzert von Guiseppe Torelli, voller meisterhaft gespielter technischer Bravour, aber trotz engagierten Einsatzes aller Musikanten eben matt. Dem Publikum wurden nach heftigem Applaus Zugaben geschenkt, mal temperamentvoll virtuos, mal emotional – ein großes Türchen im Adventskalender wurde an diesem Abend aufgetan.