Gelungenes Wagnis

Lange Klaviernacht mit vier abendfüllenden Programmen

LIPPSTADT  Die lange Klaviernacht mit vier abendfüllenden Programmen, die der Städtische Musikverein auf mutige Anregung seines Musikdirektors Burkhard A. Schmitt in der Jakobikirche angeboten hat, war von der belebenden Wirkung eines Wagnisses. Hier ging es nicht um einen Wettbewerb an einem klangvollen, in den Tiefen leicht nachgebenden Flügel. Dafür hätten ja auch die entscheidenden Kategorien gefehlt. Vielmehr stellte das Gesamtprogramm verschiedene Künstlerpersönlichkeiten mit ihrer spezifischen Sicht auf die interpretierten Kompositionen vor. Da geht es nicht darum, nach technischen Fertigkeiten zu fragen, würde es daran mangeln, wäre die Zeit in dieser Lippstädter Klaviernacht verspielt. Das 19. Jahrhundert lieferte entscheidend die Werkauswahl, Zentralpunkt dabei Robert Schumann, geerdet alles durch Johann Sebastian Bach, und wer bezöge sich nicht auf ihn. Nini Finke aus Wien eröffnete den Klavierreigen mit Ludwig van Beethovens „Waldsteinsonate“, ein klangvolles, Virtuosität forderndes Werk. Diese Virtuosität hat die Pianistin. Aber die wirkt auch verführerisch und führt dazu, dass etwa im ersten Satz „Allegro“ das „con Brio“ doch überzogen wurde. Hohes Tempo fordert innere Absicherung, wenn nicht vieles in Flüchtigkeit verrutschen soll. Die Auswahl aus den „Lyrischen Stücken“ von Edward Grieg überzeugte dagegen durch Temperament ebenso wie durch Sentiment, das wohlwollend nie die Grenze zum Sentimentalen streifte – eine völlig überzeugende Interpretation mit der Herbheit norwegischer Herkunft. Dem höchst anspruchsvollen „L’isle joyeuse“ von Claude Debussy verlieh sie den   angemessenen Klangrausch, ein etwas weniger dicker Pinsel hätte allerdings das Farbmoment stärker verdeutlichen können. Bei der Auswahl aus den „Années de Pelerinage“ fand Nini Funke bei aller geforderten Dynamik zu hoher klanglicher Sensibilität – ein beachtlicher Auftakt zur Konzertreihe der Klaviernacht. Die fand dann ihren ersten Höhepunkt in den „Phantasiestücken“ op. 12 und der Sonate Nr. 3 f-Moll von Robert Schumann. Franz Vorraber ist ein erzählender Pianist. Er gibt allen den Einzelbildern, denn es sind trotz einiger Bezüge jeweils einzelne Bilder, einen spezifischen Ausdruckswert, durchleuchtet die unterschiedlichen Stimmungswerte in jedem Moment, bewahrt in leidenschaftlichen wie in poetischen Partien die Durchsichtigkeit der Komposition. Tiefes Verständnis für das biographisch begründete fast resignative Moment zeichnete danach die Interpretation von Robert Schumanns f-Moll-Sonate op. 14 aus. Die klangliche Differenzierung durch Franz Vorraber, die bis an impressionistische Grenzen führen konnte, war atembeklemmend. Danach berechtigt großer Beifall. Auf höchstem Interpretationsniveau ging es dann im zweiten Konzertteil weiter. Klaus Sticken war der Pianist, bei dessen Musizieren sich auf überwältigende Weise Herz und Hirn verbinden. Diese Tatsache wurde gleich im ersten Werk seiner Programmauswahl deutlich: Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 5 (BWV 829) aus den Klavierübungen Teil I. Kein trockenes Musizieren, dagegen phantasievolle Verspieltheit, musikantisches Leben durch phasenweise Inegalität, so erklang J.S. Bach als Bezugspunkt aller Komponisten. Danach die ersten neun der „Davidsbündler Tänze“ von Robert Schumann, in denen Klaus Sticken mit höchster Einfühlung und Charakterisierungslust dem Verlauf der Entwicklung von Florian und Eusebius, den Vertretern des „Poetischen“, nachzeichnete. Mit welchem Nuancenreichtum danach die „Valses nobles et sentimentales“ von Maurice Ravel auf breiter Klangskala je ihren spezifischen Ort fanden, das verblüffte. Und der Programmschluss mit dem Mephisto-Walzer Nr. 1 überwältigte nun vollends mit seinem klanglichen und agogischen Raffinement. Das war fulminant und wurde vom Publikum zu recht gefeiert. Zum Schluss dann – das Tagesende war nicht mehr weit – die in Lippstadt bekannten und hochgeschätzten Anna und Ines Walachowski, ein Klavierduo, das mit musikantischer Feinabstimmung den weitgehend als Kammermusiker unbekannten Stanislaw Moniuszko vorstellte. Eine Auswahl aus den „Ungarischen Tänzen“ von Johannes Brahms gab dem Abend in intensiver und dabei charmant beschwingter Interpretation noch ein befreiend-freundliches Gesicht. Danach, in dieser Fassung sicherlich ungewöhnlich und sehr schwer auf das dynamische Niveau der Orchesterfassung zu heben, in einer Transkription für Klavier zu vier Händen der bekannte „Bolero“ von Maurice Ravel. Der bot den Geschwistern Walachowski die bravourös genutzte Gelegenheit, auf notwendig differenziertem Hören zu bestehen in einer Welt akustischer Umweltverschmutzung. „Lange Klaviernacht in Lippstadt“ – ein Wagnis, ja, aber vom Publikum vielleicht etwas strapaziert aber mit Begeisterung akzeptiert.