Imaginäres Musiktheater

Das junge Vision String Quartet widmete sich in der Jakobikirche Werken von Samuel Barber, Maurice Ravel und Ludwig van Beethoven und entfesselte dabei ein wahres Saitengewitter.

von Marion Heier

Lippstadt – Für so einige ist die Interpretation des Streichquartetts h-Moll des zeitgenössischen Komponisten Samuel Barber (1910-1981) ein besonderer Höhepunkt, den sie sich mit dem Vision String Quartet am Sonntagabend in der Jakobikirche nicht entgehen lassen wollen. Wohl wissend, dass nicht nur der Komponist, sondern auch das Ensemble mit den vier jungen – und auch smarten – Musikern, das auf Einladung des Lippstädter Musikvereins gekommen ist, einen wahren Hörgenuss verspricht.

Es ist tatsächlich kaum zu beschreiben, was Jakob Encke (Violine), Daniel Stoll (Violine), Sander Stuart (Viola) und Leonard Disselhorst (Cello) da abliefern, denn ihr Spiel ist von so einer perfekten Ausgewogenheit und ergreifender Musikalität, dass es erfüllender nicht geht. Mit welch zartem, leisen Strich entfaltet sich da das Pianissimo in dem sich aus dem Streichquartett verselbstständigten „Adagio for strings“. Mit welch elegischer Grazie und großartiger Empathie für das Stück kitzeln die Musiker den Kern, die innere Kraft des Werkes heraus, das eigentlich zu prominenten Traueranlässen und auch als Filmmusik gespielt wurde.

Durch die harmonische und an Klangfarben reiche Fülle des Werkes wird eine poetische Klarheit, eine – laut Programm – lyrisch-expressive Tonsprache erfahrbar, die einen gefangen nimmt. Da braut sich ein wahres Saitengewitter an, das sich mit leise schwingenden Bögen wieder davonstiehlt.

Ein imaginäres Musiktheater entfaltet auch Maurice Ravels Streichquartett F-Dur. In ihm spiegelt sich die musikalische Vision eines damals 27-Jährigen wider, die in der Umsetzung des Vision String Quartetts einen Gleichgesinnten hat. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Rhythmen und ethnische Anleihen sind stilistische Charakteristika, die vom Quartett meisterhaft ausgearbeitet werden. Es wird heftig gestrichen, gezupft und geschlagen. Es wird wild und überbordend, melancholisch und romantisch. Die Techniken auskostend, entsteht so eine außerordentliche Klangfülle. Beethovens Streichquartett Nr. 14 in cis-Moll gibt sich da zunächst ein wenig moderater, formuliert es doch die eher klassische Tonsprache. Die aber kommt neben viel lieblichem Gestus auch mit sehr viel mutigem Beethoven daher. In dessen spätem Werk zeigt sich eine ungewöhnliche, ausdrucksreiche Dichte. Es wird schwermütig und stürmisch, federleicht und heiter mozartesk.

Das Ensemble demonstriert nicht nur mit diesem Werk, dass es den höchsten Anspruch an sich und das Repertoire mit einer respektvollen Ehrerbietung gegenüber meisterlicher Kunst vereint. Und es geht nicht ohne Zugabe, in der sie eine selbst komponierte Samba zum Besten geben. Die ist so beschwingt und lässig und gibt einen Einblick in das weitere Repertoire des Vision String Quartets, das sich das Publikum unbedingt noch mal nach Lippstadt wünscht. Ja, bitte.
Generationswechsel in der Klassikszene

Das 2012 gegründete Vision String Quartet steht für einen Generationswechsel in der Klassikszene. Die vier Musiker sind nicht nur recht jung, sie öffnen sich auch anderen Klängen bis hin zum Jazz, Pop und Funk. Dieser Mix überzeugte den Südwestrundfunk so sehr, dass er das Quartett 2014 in sein Programm zur Nachwuchsförderung „SWR2 New Talent“ aufnahm. Auch die Präsentation unterscheidet sich von herkömmlichen Kammerkonzerten, spielt das Vision String Quartet doch auswendig und – mit Ausnahme des Cellisten – im Stehen, um eine andere Dynamik zu erzielen.