28.11.2023; Der Patriot
Von Bettina Boronowsky
Lippstadt – Zum Totensonntag, dem Ewigkeitssonntag der Kirche, führten Musikdirektor Burkhard A. Schmitt und ein großer musikalischer Apparat mit überzeugender Kraft die „Missa da Requiem“ von Giuseppe Verdi auf. Vor einem rot erleuchteten Hintergrund hatten sich der schwarz gekleidete Konzertchor Lippstadt und der Konzertchor Hamm auf der Bühne aufgebaut, davor das Vollorchester der Neuen Philharmonie Westfalen, ergänzt durch Mitglieder des Collegium musicum der RWTH Aachen, und das Solistenquartett.
Schon die Farbkombination Rot-Schwarz signalisierte Drama, Trauer, Schmerz. Die enorm kontrastreiche Musik tat das Ihrige: Das anfangs kaum hörbaren Pianissimo in den Streichern steigerte sich bis zum lauten Hosanna des Tutti im „Sanctus“. Unbegleiteten Soli stand eine Doppelfuge im Chor gegenüber. Aus dem leisen Gebetsgemurmel des „Libera me“ a cappella entwickelten sich wenig später im „Dies irae“ Klangkaskaden wie Feuerzungen. Tiefe Bässe kontrastieren zu schrillen Flötentönen. Musikalisch gilt das Requiem unter Fachleuten als eines der schwierigsten im sakralen Chor-Repertoire.
Tatsächlich war diesem geistlichen Werk Verdis von Anfang an seine Nähe zur Oper vorgeworfen worden. Schließt man die Augen, lässt sich unschwer an die farbige Musik einer Bühnenhandlung denken. Die Textverständlichkeit war zwar überwiegend gegeben, weil der Chor sehr präzise sang. Aber wer versteht schon Lateinisch?
Verdi kämpfte also hier gegen seinen überragenden Ruf als Opernkomponist an. Nach mehr als 30 Jahren hatte er erstmals wieder etwas Geistliches geschrieben. Aber kaum war das Requiem, das sich an die liturgische Form der Totenmesse hält, nach einer verwickelten Vorgeschichte im Mai 1874 uraufgeführt worden, da regte sich Kritik, vor allem vonseiten der Kirche. Es fehle dem Stück das Zeitlose, das Erhabene, hieß es. Doch gab der damalige Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick zu bedenken: „Was in Verdis Requiem zu leidenschaftlich, zu sinnlich erscheinen mag, ist eben aus der Gefühlsweise seines Volkes heraus empfunden, und der Italiener hat doch ein gutes Recht zu fragen, ob er denn mit dem lieben Gott nicht Italienisch reden dürfe.“
Burkhard A. Schmitt scherte sich wenig um das Thema „Theatralik oder nicht?“. Er holte aus dem Requiem so viel Plastisches, Ohrenfälliges, Emotionales, Anschauliches und Farbiges wie möglich heraus. Spektakulär platzierte er beispielsweise die vier Trompeten im „Tuba mirum (Laut wird die Posaune klingen)“ auf den beiden Seitenemporen. Von dort bliesen sie ihre Fanfaren zur Auferstehung. Abrupte Enden von Sätzen gestaltete Schmitt noch ein bisschen abrupter, melodieselige Passagen ließ er breit und eingängig singen.
Der bravouröse, professionelle Gesamteindruck wäre ohne das homogene Solistenquartett jedoch nicht möglich gewesen. Jeder der vier hatte seine eigene Arie, die der einer Opernarie nahekam. Bass Peter Lobert, erst Mediziner, jetzt Musiker, hätte als Falstaff vermutlich ebenso überzeugt wie als Sarastro. In diesem Requiem hatte er im „Confutatis maledictis“ seinen großen Auftritt. Der Tenor Anton Saris, ein erfahrener und weitgereister Sänger aus den Niederlanden, sang mit viel Empathie das große Schuldbekenntnis „Ingemisco tanquam reus“. Ergänzt wurden die beiden Männerstimmen durch den Mezzosopran von Marie Seidler, einer mehrfach preisgekrönten jungen Sängerin, die im Duett mit der Sopranistin gut bestehen konnte.
Größter Gewinn für diesen Abend war zweifellos der Auftritt der Sopranistin Camilla Nylund. Die weltberühmte Finnin, die dank ihrer musikalischen Freundschaft mit Burkhard A. Schmitt schon mehrfach in Lippstadt war, hatte ihre Qualität bereits das ganze Werk hindurch bewiesen, setzte aber auch den grandiosen Schlusspunkt. Nur einer Sängerin ihres Formats kann man das „Libera me“ am Schluss und das Aufgehen im gesamten Klangkörper zumuten.
Trost und Zuversicht findet sich im Verdi-Requiem kaum. Bitten und Flehen helfen nicht. Todesangst und Verzweiflung rollen über die Menschen hinweg. Minutenlang blieb es still nach dieser überwältigenden musikalischen Leistung. Dann brandete der Applaus auf.
Die schwarz-rote Farbgebung passte zu den Themen des Konzertabends im Lippstädter Stadttheater, signalisierte sie doch Drama, Trauer und Schmerz.
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