„Luther“ als musikalisches Abenteuer

Stephan Graf von Bothmer begeistert mit Stummfilmkonzert

Lippstadt Nun gut, dieser Gag muss sein. Bevor Stephan Graf von Bothmer am Konzertflügel den Stummfilm „Luther“ begleitet, gibt’s auf der Studiobühne ein Vorspiel mit Zeichentrick-Werbefilm, Trailern und einem autonomen Stück, sprich: einer solistischen Musikeinlage. Dazu spielt Bothmer mit verbundenen Augen Sergei Rachmaninows „Präludium Nr. 5“. So viel zunächst einmal zur Einstimmung zu diesem vom Städtischen Musikverein Lippstadt initiierten Stummfilmkonzert. Klar ist nach dieser unterhaltsamen Einlage: Bothmer beherrscht alles aus dem Effeff. Das ist gut so, denn beim anschließenden Hauptfilm „Luther“ ist äußerste Konzentration gefordert. 111 Minuten und zwölf Sekunden dauert der 1927 entstandene Stummfilm, von dem es seit kurzem eine restaurierte Fassung gibt. Gezeigt wird alles an einem fortlaufenden Stück ohne Pause. Damit tourt der Komponist und Pianist durchs Land. Man könnte deshalb meinen, dass Bothmer alles routiniert spielt, aber keine Minute dieses Konzerts hinterlässt solch einen Eindruck. Das Gegenteil ist der Fall: Ungemein präsent, lebendig und auf den Punkt gebracht untermalt Bothmer mit seinem Klavierspiel den Film, der entscheidende Lebensstationen Luthers expressiv, allerdings auch plakativ nachzeichnet. Gewittererlebnis, Pilgerreise nach Rom, die 95 Thesen, Luthers Auftritt vor Kaiser Karl V. in Worms und natürlich die Bibelübersetzung sind im Film angerissene Themen. Geradezu klassisch verhält sich dazu Bothmers Komposition. Streng-steif wird’s nie. Dazu geben sich seine Interpretationen zu lustvoll-spielerisch. Wie Kommentare zu den einzelnen Filmszenen lesen sie sich und unterstreichen Eigenheiten der Charaktere. So erscheint Luther – im Film von Eugen Klöpfer verkörpert – reichlich verklärt als strahlender, deutscher Held und Revolutionär. Bothmer kennzeichnet dies musikalisch überspitzt mit heroisch-erhabenen Akkorden. Aber Klöpfers Luther kann auch nachdenklich sein. Für diesen Charakterzug Luthers findet Bothmer ruhige, melancholische Moll-Klänge. Natürlich wird’s mitunter auch dramatisch – etwa wenn man das Volk in Aufruhr gegen die Mächtigen sieht und sie Heiligenstatuen und Kirchenschätze niederreißen. Dann macht sich ein geradezu raumgreifendes, dramatisches Wabern breit. Der „Luther“-Stummfilm fordert Bothmer und dem Publikum viel ab. Fulminant meistert der 46-jährige Komponist und Pianist diese Herausforderung. Doch auch vom Publikum wird viel gefordert. Hin- und hergerissen ist es zwischen der Musik und dem Film. Wem soll man mehr Aufmerksamkeit schenken? Schließlich beeindruckt Beides, aber es plättet nun einmal auch. Bei einem zweieinhalbstündigen Non-Stop-Stummfilmkonzert kommt man an seine Grenzen. Nichtsdestotrotz lohnt sich dieses Abenteuer.