„Träumen Sie von etwas Schönem“: Klaviernacht in der Jakobikirche

„Ukraine, mon amour“ hieß das Programm, mit dem Violina Petrychenko die Klaviernacht eröffnete. Fotos: Heier

Der Städtische Musikverein Lippstadt Musik bat zum dritten Mal zur Klaviernacht in die Jakobikirche. Mit dabei waren diesmal die Ukrainerin Violina Petrychenko, Vadim Chaimovich aus Litauen und die aus Polen stammende Aleksandra Mikulska.

18.0.2023; Der Patriot

Von Marion Heier

Lippstadt – Dreimal 50 Minuten mit jeweiliger Pause – sie wurden am Samstag gefüllt mit einem Kompaktpaket an Klavierkunst. Mit der aus der Ukraine stammenden Pianistin Violina Petrychenko und ihrem Programm „Ukraine, mon amour“ unterstreicht die in ukrainischer Tracht gewandete Musikerin ihr Anliegen, die vielfältige Kulturgeschichte ihrer Heimat zu vermitteln.

Das gelingt ihr mit einer beeindruckenden Auswahl an Komponisten, darunter dem volksnahen Mykola Lysenko, Yakiv Stepovyi und Valentyn Silvestrov. Obwohl die ukrainische Sprache zu Lysenkos Zeiten verboten gewesen sei, seien seine Volkslieder sehr wohl weitergetragen worden, sagt Petrychenko. Seine „Träume“ gäben ihr innere Ruhe, was sie gestisch im Spiel unterstreicht. Erst später habe sie entdeckt, welch emotionale Kraft in Stepovyis Kompositionen steckt, seinen Walzern, Präludien und Mazurken.

Der Kiewer Professor wurde nur 38 Jahre alt, doch hat sehr viele Werke hinterlassen, die seine Anpassungsfähigkeit dokumentieren. Unter anderem das romantisch, doch sehr eigenwillig und modern gesetzte Präludium zum Gedenken an den Nationaldichter Taras Schewtschenko, dem Petrychenko sehr viel Empathie einhaucht. Da fließt es lieblich dahin, wird aber auch bitter-melancholisch. Oder modern: Es gibt Takte, die erinnern an das James-Bond-Motiv.

Vadim Chaimovich


Petrychenko greift immer wieder zum Mikrofon, beschreibt Komponisten und Werke. Silvestrovs „Kitsch-Musik“ etwa sei alles andere als Kitsch. Was vertraut an Bach oder Brahms erinnere, stamme alles aus seiner Feder. Verboten in der Sowjetunion, wurden die Werke des seit dem russischen Überfall auf die Ukraine in Berlin lebenden Komponisten im Ausland gefeiert. „Träumen Sie von etwas Schönem“, leitet Petrychenko ihr Publikum an, bevor sie dem „Meister der Stille“ gehörige Sinnlichkeit und Leidenschaft einhaucht.

Oft sind es nur wenig, aber harmonisch wirkungsvoll gesetzte Noten, die sich als Seelenschmeichler erweisen. Was dem einen zu viel, ist dem anderen gerade recht: In der Pause werden unterschiedliche Meinungen laut.

Ein wenig verblasst dagegen das sehr „klassisch“ angelegte Programm, das Vadim Chaimovich mit Buxtehude, Bruckner, Chopin und Rachmaninow vorträgt. Facettenreicher und lebendiger wird es in Chopins Mazurken, klangmalerisch und lauter in Rachmaninows „Moments Musicaux“. An Balys Dvarionas kleinen Rhapsodien aus „Winterskizzen“ wächst der Litauer, dessen Tonaufnahmen unter anderem für die Erfolgsserie „Babylon Berlin“ verwendet wurden. Zwar immer noch verhalten, aber doch ausdrucksstärker werden dichte Harmonien laut, die Raum für Assoziationen lassen.

In der zweiten Pause gehen einige, weil sie genug Input hatten oder den „Star“ des Abends, Aleksandra Mikulska, schon einige Mal im Rittergut Störmede gehört haben. Die ausgewiesene Chopin-Expertin und Präsidentin der Chopingesellschaft, die als letzte und zu späterer Stunde gegen halb zehn auftritt, bestreitet in ihrer einzigartigen, authentischen Präsenz einmal mehr ein großartiges Programm, das sie auf eine Stunde komprimiert.

Ausgesucht hat sie eine Auswahl an Chopins Mazurken und Präludien, die sich in diese romantische Nacht fügen. Auch sie, die gebürtige Polin, beschäftige die aktuelle Situation sehr, so dass sie den verspielten Mozart aus dem Programm gestrichen, aber sich für die Zugabe aufgehoben habe. Sie zitiert Chopin aus einem Brief, dessen Worte an die heutige Kriegssituation erinnern. Er sei weg von zu Hause zur Tatenlosigkeit verdammt und verzweifle am Klavier und das, „wo sich Mutter und Schwester in den Händen der Moskoviten befinden. Oh Vater, ist das der Trost für deine alten Tage.“

Mikulska stimmt nachdenklich stimmende Mazurken an und Präludien, die Chopins Seelenzustand widerspiegeln – dies in ihrer ganz eigenen, elegant anmutenden, gestisch ausgeprägten Ausdrucksweise. In weitem Bogen holt sie aus, akzentuiert jeden Ton, lässt die Arpeggien gleiten. In ihr ist die Musik Chopins, die sich zu einem gewaltigen Hör-Spiel entwickelt. Hoch empathisch, aber gehalten, leidenschaftlich und einfach großartig.

Aleksandra Mikulska