Unendlicher Nuancenreichtum

Das Berliner Atos Trio begeistert in der Jakobikirche

LIPPSTADT   Man kann ja auch nach Berlin fahren, wo sie eine eigene Konzertreihe haben, oder nach London und in andere Großstädte. Man kann aber auch einfach in die Jakobikirche zum Kammerkonzert des Lippstädter Musikvereins gehen, um ein Ensemble von Weltruf, das Atos Trio, zu erleben. Und viele kamen, mancher mag aber auch von der gefürchteten Parkplatznot wegen sportlicher Aktionen abgehalten worden sein. Die gekommen waren, erlebten die Künstler des Atos Trios — Annette von Hehn (Violine), Stefan Heinemeyer (Violoncello) und Thomas Hoppe (Klavier) — auf selten erlebbarer Interpretationshöhe. Das Klaviertrio B-Dur (KV 502) von Wolfgang Amadeus Mozart machte schon von Beginn an deutlich, was es bedeutet, wenn Interpreten den Ausdruckswert einer Komposition ermitteln und dann vollendet musizierend hinter das Werk zurücktreten. Mozart gibt hier dem Klavier noch den vorher üblichen Führungscharakter, den Thomas Hoppe brillant auslotete. Aber die beiden Streicher haben dem Klavier gegenüber an Bedeutung gewonnen, so dass in glänzender klanglicher Detailabstimmung sowohl die naiven Momente der Komposition wie die insgesamt liebenswürdige Melodik einer Mozart’schen Hausmusik trefflich gelangen. Dass bei der interpretatorischen Vollkommenheit eine naheliegende distanzierte Kühle, den Raumtemperaturen entsprechend, vermieden wurde, verdient besondere Erwähnung. Was ist in der Musik Ludwig van Beethovens unbeschwert, wenn sie nicht zugleich einen Hintergrund von Belastung hat? Das Klaviertrio Nr. 6 Es-Dur gehört wohl zu seinen weniger beschwerten Werken, selbst bei einer gewichtigen kanonischen Einleitung und einer Reihe dunkel gefärbter Momente. Aber gerade vor dem insgesamt heiteren, tänzerischen Grundton, dem Fehlen eines langsamen Satzes, gewinnt die Komposition ihren changierenden Reiz, den das Atos Trio völlig unforciert mit schier unendlichem Nuancenreichtum erfüllte. Dieser war es dann auch, der das Klaviertrio f-Moll (op. 65) von Antonin Dvorák zu einem elektrisierenden Hörerlebnis machte. Es gibt die typische Dvorak’sche Grundstimmung, die dem Hörer vertraut ist, die in diesem Werk aber nur stellenweise, etwa im zweiten Satz oder in Passagen der Schwermut des Adagios, anklingt. Insgesamt aber wird das Werk immer wieder von einer packenden Leidenschaftlichkeit bestimmt, die temperamentvolle Ausbrüche ebenso erfasst wie die tieferfüllte Gesanglichkeit etwa des Adagios. Was hier das Atos Trio an hochmusikantischem Engagement, an sensibelster Durchleuchtung dynamischer Entwicklungsbreite bewies, das rechtfertigte jede Lobeshymne, die dem Ensemble vorauseilt. Das Publikum mochte wohl eine ähnliche Hymne nach dem Lippstädter Konzert hinterhersenden.