Wunderbare Erfüllung

Großer Konzertabend mit dem Cellisten Leonard Elschenbroich

LIPPSTADT   Sollte man das Foto des Ungarisches Kammerorchesters zu deuten versuchen, wie es sich auf einem alten Doppeldecker im Lippstädter Kulturprogramm präsentiert? Würde man dahinter „jugendlichen Übermut“ oder den Hinweis auf rückwärtsgewandte Programmausrichtung vermuten? Hat man die Mitglieder dieses Orchesters aber beim letzten Saisonkonzert des Lippstädter Musikvereins im Stadttheater erlebt, bleibt die Erinnerung an eine wohl jugenddurchwirkte Besetzung, zugleich aber an eine, die die Kompositionen vergangener Jahrhunderte mit höchster Intensität erspielte. Ständig wurden sehr genau die Intentionen der Werke ausgehorcht, wurden die inneren Zusammenhänge fast ausziseliert. Bei aller klanglichen Strukturiertheit ging nie die Spielfreude am Werk und am Miteinander verloren. Und so hielt sich eine überzeugende Grundheiterkeit auch bei emotional etwas verhangeneren Kompositionen wie der „Serenade“ von Hugo Wolf oder dem fast orchestralen Charakter annehmenden Arrangement von Guiseppe Verdis Streichquartett in e-Moll, das in dieser durchaus heiklen Version die technische Bravour und klangliche Einfühlsamkeit der Musikanten glänzend unterstrich. Höchste Beachtung aber verdienten sie sich als ebenso individuelles wie absolut anpassungsfähiges Gegenüber zum Solisten des Abends, dem wunderbaren Cellisten Leonard Elschenbroich. Es ist ja kaum überzeugend zu begründen, wie es zu den immer wieder unterschiedlichen Wellen von Instrumentalsolisten kommt, die irgendwann flächendeckend emporschießen, oft unbegreiflich perfekte und dabei doch hochbegabte Musikanten sind. Im Augenblick werden besonders die Solocellisten herausgestellt, und wie berechtigt ist das doch! Dass aus dieser Spezies von hoher Qualität immer noch einige herauszuragen vermögen, ist völlig verständlich. Einer von ihnen ist Leonard Elschenbroich, und den erlebte das Lippstädter Publikum beim Konzert mit dem Ungarischen Kammerorchester. Was zeichnet ihn besonders aus? Nicht die verblüffende Technik seines Spiels — und doch, wer wagt schon eine solche Reihung souveräner Flageolettpartien? Technik wird heutzutage zum Leidwesen von Musikkennern oft überschätzt. Bei Leonard Elschenbroich ist es vielmehr die Verbindung von heute fast selbstverständlichen technischem Vermögen mit einer wunderbaren Erfüllung des Lebens, das der Musik innewohnt, das sensible Aushorchen der Komposition. Damit erfüllt er so unterschiedliche Ansprüche wie die des eher technisch orientierten Niccolò Paganini, des eher emotionalen Cello-Konzerts von Antonio Vivaldi oder der barock anmutenden „Suite Italienne“ von Igor Strawinsky. Als prachtvoller i-Punkt dann die Zugabe des Schlusssatzes aus der Cello-Sonate von Paul Hindemith, ein beachtenswerter Schritt in die Musik des 20. Jahrhunderts. Leonard Elschenbroich und das Ungarische Kammerorchester — ein großer Konzertabend.