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Offener Brief des Vorsitzenden des Lippstädter Musikvereins Dr. Peter Knop zur Aufführung der Friedensmesse „The armed man – a mass for peace“ von Karl Jenkins (am 2. April 2017 im Stadttheater Lippstadt) und der Rezension mit dem Titel „Beifallumrauscht“ in der Lippstädter Tageszeitung „Der Patriot“ vom 04. April 2017.

Die Aufführung der Friedensmesse „The armed man – a mass for peace“ von Karl Jenkins (am 2. April 2017 im Stadttheater Lippstadt) hat das Publikum, darunter viele junge Leute von den Stühlen gerissen. „Standing ovations“ sind in Lippstadt bei klassischen Konzerten eine Seltenheit. Warum war der Abend „Beifallumrauscht“? Das Werk von Jenkins hat die Menschen vor und auf der Bühne ins Mark getroffen. Wie hat der Waliser Meister das mit einem für die Meisten völlig unbekannten Werk geschafft?

Es ist „ein dramatisches Bühnenwerk ohne Bühne“, das mit einem monumentalen Klangbild, mitreissenden Rhythmen und bewusst aufdringlichen (Schlagwerk) überraschenden Momenten, die mit ruhigen, berührenden und romantischen Klängen (wie „Ohrwürmer“ aus einem Film) abwechseln, aufschrecken lässt. Durch diese effektvollen Kontraste vor dem Hintergrund der geschilderten Kriegsereignisse wird man aufgewühlt, ist beklemmt, wird wieder beruhigt und hält inne, ein Wechselbad der Gefühle. Da geht es hin und her, mit Pauken und Trompeten in den Krieg. Da erflehen Soldaten in einer wohlklingenden Harmonie den Beistand des Herrn für die Schlacht. Dann erklingt in der Dramatik und Aufregung des Schlachtgetümmels („Charge“) völlig unerwartet ein süsser, engelsgleicher Frauenchor mit einer tänzerischen Musik und dem wie Hohn klingenden Heilsversprechen „Wie selig ist der, der für sein Vaterland stirbt“. Man fühlt sich erinnert an die „Huri“ (im Paradies weilende Jungfrauen , die die Gefallenen mit ewigen Wonnen belohnen) aus dem Koran. Dann folgt das absolute Grauen – Horror – mit den entsetzlichen Schreien der Sterbenden. Spätestens jetzt wird sich keiner mehr dem Werk entziehen können. Es herrscht höchste Anspannung, besonders in der anschließenden Totenstille.

Wie wichtig sind die 12 Schläge der Glocke von Hiroshima die an den Abwurf der Atombombe erinnern. Wie traurig klingt das Englisch- Horn in ( „Torches“ ), das um die gequälten, brennenden Kreaturen weint. Was ist das für eine Darmaturgie, wenn ein ruhiges, verhallendes Trompetensignal im „Agnus Dei“ schmerzlich an die abgelaufene Schlacht erinnert und wenn diese berührende, tröstliche Musik zugleich für das herzzerreissende, wehmütige Klagelied einer Frau sensibilisiert, die nach dem Verlust eines Menschen in Einsamkeit, Schmerz und Trauer zurückbleiben muss. Kann man sich dem schlichten, romantischen Cello-Solo und der wohlklingenden Chormelodie im „Benedictus“ entziehen? Wie packend sind die triumphalen Bläserakkorde im „Hosanna in excelsis“, die dem Sieg über Sünde und Tod eine besondere Feierlichkeit verleihen und zugleich Glaubenstärke ausdrücken.

Ja und dann wird der Friedenswunsch „besser ist Frieden als ständiger Krieg“ schlicht und einfach immer wiederholt. Jenkins versucht diese Sehnsucht – wohl als Ausdruck unserer Hilflosigkeit – geradezu in die Köpfe einzuhämmern. Aber ist es nicht beeindruckend, wenn der Künstler schliesslich als Aufforderung zum Frieden und zur Toleranz dem islamischen Gebetsaufruf eines Muezzins die zum Gottesdienst einladenden Kirchenglocken gegenüberstellt und sie in seiner künstlerischen Freiheit mit den gesungenen Glockenschlägen („ring, ring, ring“) miteinander verschmelzen lässt. Welch eine wunderbare Vision. Wie tröstlich endet das Werk mit dem harmonisch klingenden Largo im abschliessenden a cappella Chor.

Der Musikverein Lippstadt hat sich mit der Messe von Karl Jenkins- einem in Deutschland weitgehend unbekannten und ungewöhnlichen Werk- an etwas Neues gewagt. Es ist ein Projekt, mit dem wir Menschen gerade in der heutigen Zeit nachdenklich stimmen, bewegen und besonders junge Menschen erreichen wollten. Das ist uns gelungen. Besonders glücklich sind wir darüber, dass eine grosse Zahl Schülerinnen und Schüler aktiv in das Werk eingebunden werden konnten.

Dr. Peter Knop